Heinz-Dieter Gerstenköper der "Warsteiner"

Glückauf-Kaserne Unna

Der Weg von He mer nach Unna



Die letzten Tage in der Ausbildungskompanie Hemer - die ersten Tage in der Stabskompanie der 7. Panzerdivision Unna (früher Panzergrenadierdivision) 

Der letzte Tag in Hemer

Alles war wie immer, auch an diesem Morgen. In Hemer gingen unsere letzten Tage dahin und der Moment rückte näher, an dem wir zu unseren Stammeinheiten mussten und uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Es lag eine allgemeine Nervosität in der Luft. Außer mir, wußte keiner der Rekruten was auf ihn zu kommt in in der neuen Einheit. 

Nur ich konnte mich schon eine Woche früher nach Unna absetzen und durfte mir im Kompaniegebäude bereits eine Stube und einen Spind aussuchen. Anhand einer Liste, wußte ich welche Stuben ganz frei waren und welche zum Teil oder ganz von der Kompanie belegt war. Ich weiß heute nicht mehr, warum meine Wahl auf die Stube 43 fiel, aber im Nachhinein gesehen, war die Entscheidung goldrichtig. Vor dem Fenster lag der Sportplatz, also tagsüber kein Kasernenhofgebrüll. Statt der vier Betten, gab es nur zwei. Eines an der linken und eines an der rechten Wand. Ein Tisch und zwei Stühle. Der Raum wirkte durch die geringere Möblierung viel größer als die anderen "Buden". Das Besondere jedoch, war der leere Blechspind vom Roten Kreuz. Die Schlüssel steckten noch und ich stellte fest, dass der Spind leer war. Die Schlüssel nahm ich erst mal an mich. Sicher ist sicher. Ich hatte da eine Idee in Richtung Natoalarm. Dazu später. 

Nachdem ich mein Quartier für die Zeit in der Stabskompanie der 7. Division gesichert hatte, meldete ich mich im Geschäftszimmer, gab meinen "Mietvertrag" ab und verlangte einen blanko Urlaubsantrag für die Zeit von Weihnachten bis Neujahr. Der Schreibstubenhengst sah mich an wie das siebente Weltwunder und schnauzte: "Bist du bekloppt, kaum hier und schon Urlaub?" Ich antwortete: "Nee, bekloppt bin ich nicht aber Urlaub möchte ich schon!" Was er dann vor sich her maulte, konnte ich nicht verstehen. Er trug mich in ein Buch ein und händigte mir mißmutig den Blanco-Antrag aus. Auf dem Besuchertisch füllte ich sorgfältig das DIN A 5 Formular aus und übergab wieder an dem Schreibstubenhengst: "Da fehlt noch das Datum!" ranzte er mich wieder an. Ich trug das Datum ein und er war zufrieden. Nun brachte er den Antrag in das Zimmer des Kompanie-Feldwebels und ich hörte wie der Spieß fragte: "Für den Neuen?" Meine Fahrschulzeit in Unna hatte ich logischerweise auch dazu genutzt, mir den Laden, in dem ich die nächsten neun Monate verbringen mußte, einmal gründlich anzusehen. Es war durchgesickert, dass ich zum Divisions-Gefechtszeichner ausgebildet werden sollte. Würde ich gerne, denn es entsprach meinen Intentionen und passte gut zu meinen bisher erlernten Berufe. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine Lehre als Schlosser und Technischer Zeichner
erfolgreich abgeschlossen. Das sollte die Grundlage für mein späteres Ingenieurstudium sein. Der Stab in Unna verwaltete 20.000 Soldaten der 7. Division. Also sollte es da doch möglich sein, etwas passendes für mich zu finden. Ich war guter Dingen. Was aus meinen Wünschen und Vorstellungen wurde, dazu später.

Im Auftrag von meinem Kompaniechefs Hauptmann Baumann in Hemer, sollte ich wegen einer Rolle Malkarton und diverser Plakatfarben bei einem Hauptmann Schulze des DivTop des Divisions-Topografen vorstellig werden. Hauptfeldwebel Dublaski beschrieb mir den Weg zum Div.Top. Da ich niemals im Leben vor den s.g. Respektspersonen besondere Ehrfurcht entgegenbrachte, schlenderte ich in lockerer Haltung zum Stabsgebäude, beide Hände in den Taschen und schon passierte es. Ein alter Stabsfeldwebel mit sehr vielen Orden und einem Edelweiß an der Mütze, also ein Gebirgsjäger aus Bayern kreuzte meinen Weg. Er fragte mich: "San Sie no gsund?" Ich wollte gerade bejahen, da legte er los, mit einer Stimme wie Donnerhall in den bayrischen Bergen: "Jo, do leck mi doch oana am Oasch! Laffd da Kerl herum, ois ob ea auf am Stachus spaziern gäd! San sie bläd?" Für alles Andere, was er dann von sich gab, war ich nicht mehr aufnahmefähig. Nie zu vor bin ich in der Dienstzeit derartig zusammengeschissen worden wie von diesem Bayer. Ich bevorzugte jetzt stramme Haltung, um ihn etwas zu besänftigen und milder zu stimmen. Als er fertig war, sagte er noch in einer völligen anderen Tonlage, beinahe väterlich: "Sie soidn moi zum Frisör gengan!"  Ein Auto fuhr vor, er stieg ein und weg war er. Es kam mir vor, als hätte ich noch eine Stunde in strammer Haltung da gestanden. Ein Gefreiter vom Stab lief an mir vorbei und fragte: "Iss was?" So langsam fand ich zurück ins normale Leben. Das Auto mit dem Stabsfeldwebel fuhr durchs Haupttor auf die Iserlohner Straße und weg war er. Ich dachte darüber nach, ob ich meine Einstellung zu Respekts-personen noch einmal gründlich überdenken sollte. 
 
Im Stabsgebäude grüßte ich für heute erst einmal jeden, der nach einem Vorgesetzten aussah. Aber es liefen auch sehr viele Zivilangestellte mit Akten unter den Armen herum oder standen in Grüppchen auf den Fluren herum und unterhielten sich über dienstliche sowie private Themen. Das gefiel mir: "Wie bei den Warsteiner-Eisenwerken, meinem Brötchengeber." Ich verspürte schon so etwas wie ein anheimelndes Gefühl. Hier werde ich es aushalten können, sind ja nur noch neun Monate. Bei einem Gemisch von Zivilisten und Soldaten, kann es nicht so schlimm werden wie in Hemer.

Der erste Tag in Unna


Da stand ich nun, vor dem Stabsgebäude, in dem Generalmajor Willy Mantey (1903-1990) die 7. Panzergrenadier/Panzerdivision regierte. Noch fünf Stufen, dann war ich im Divisionsgebäude, meiner zukünftigen Wirkungsstätte. Ich betrat eine große Empfangshalle und suchte den Aufzug zum 3. Stock. Links von mit stand ein 2 m hoher Holzkasten mit einem viereckigen Ausschnitt und dahinter saß ein Gefreiter wie Karl-Heinz Köppke im Fernseher. Er sagte mir mundfaul: "Dritter Stock, Flur links, letzte Tür auf der rechten Seite, Anmeldung, letzte Tür gegenüber!" Ein wenig aus der Puste, kam ich oben an und als wollte die Tür zur Anmeldung öffnen. In dem Augenblick stellte ich fest, dass der Gefreiten-Pförtner eine falsche Auskunft erteilt hat. Tür links war nicht die letzte Tür, das war die Toilettenanlage und aus dieser kam gerade ein Feldwebel und das war ausgerechnet der berühmt berüchtigte Feldwebel Jochen Orlich: "Na Kanonier, kann ich ihnen helfen?" Ich: "Zu Hauptmann Schulze" Orlich verbessert mich noch. "Das heißt zu Herrn Hauptmann Schulze, Herr Feldwebel oder haben Sie noch nicht ausgeschlafen?"  Ich: "Jawohl Herr Feldwebel!"
 
Orlich wollte nun so richtig loslegen aber die Tür öffnete sich und es erschien eine Hauptmann! Ja, dieser Mensch erschien! Ein Soldat wie aus dem Bilderbuch. Hellgraue Uniform, leicht angegraute Naturwellen an den Schläfen, Silberlitzen und Silbersterne. Zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, dass er in der Kaserne "Der schönste Hauptmann der Division" genannt wurde. Freundlich begrüßte er mich: "Guten Tag Herr Gerstenköper, sie sind mein Neuer?" Ich klappte die Hacken zusammen und legte meine Hände an die Hosennaht: "Jawohl Herr Hauptmann!" Er legte seine rechte Hand auf meine linke Schulter und schaute mich beinahe väterlich an: "Nun mal ganz ruhig, Sie kommen gleich zu mir, wenn sie mit dem Hauptfeld fertig sind." Ich antwortete in lässiger Haltung, völlig unmilitärisch: "Wenn der Feldwebel nichts mehr hat, sind wir hier durch." Der Hauptmann sah wie Orlich mit den Zähnen knirschte und das runter schluckte was er eigentlich sagen wollte und sage freundlich zu mir: "Ja, Herr Gerstenköper, dann kommen Sie doch bitte mit in mein Büro." Ich verspürte eine Glückseligkeit, nie wieder so ein Brüllaffe, nie wieder so ein geistlosen Schreihals. Die Zeit in Unna wird sicher schnell und gut verlaufen bis ich wieder im Konstruktionsbüro der Warsteiner-Eisenwerke Geräte konstruieren konnte. Die Schinderei in Hemer war vergessen. Orlich wollte mich nicht mehr sprechen

Etwas Sorge bereitete mir mein Urlaubsschein. Ob der Spieß ihn wohl genehmigt. Wenn es dann wenigtstens über Weihnachten wäre, könnte ich mich damit abfinden. Mal sehen, wie es ausgeht. Kompaniefeldwebel (Spieß) Lothar Dublaski (Ostpreuße) schaute kurz ins Geschäftszimmer und rief mir zu: "Nehmen Sie Platz, ich bin gleich für Sie da." Er wies mich freundlich an, auf einem der drei Besucherstühle Platz zu nehmen. Eine derartige Freundlichkeit bei der Bundeswehr war ich absolut nicht gewohnt und gleich stieg in mir aufgrund der bösen Erfahrungen in Hemer, ein gewisser Argwohn auf, denn der Kompaniedienst und der Bürodienst waren zwei verschiedene Stiefel. 

Es dauerte nicht lange, da klingelte beim Hengst das Telefon und er sagte nur: "Jawohl, Herr Hauptfeld!" Legte auf und sagte zu mir: "Du sollst reinkommen." Der Spieß begrüßte mich äußerst freundlich und bat mich Platz zu nehmen. Nachdem ich mir den mittleren der drei Stühle ausgesucht hatte, fragte mich der Spieß: "Sie kommen aus Warstein?" "Jawohl Herr Hauptfeldwebel!" Kurze Pause. "Mein Feldwebel Cramer kommt aus Suttrop, kennen Sie den?" Nachdem ich das bejat hatte, schob ich noch hinterher: "Bei uns wird er Tossy genannt, warum weiß ich nicht. Ist ein Freund meines Vaters." "Sie sind aber in Castrop geboren, kommt ihre auch aus Mutter Castrop?" "Sie ist dort aufgewachsen, geboren aber in Damrau, Ostpreußen." Er stand auf, hob beide Hände, so als ob er mich umarmen wollte: "Ich bin auch Ostpreuße, komme aus....... !" (habe den Ort vergessen)

'Ja, toll dachte ich, habe ich einen neuen Freund?' 

Nachdem ich gleich zu Anfang meiner Dienstzeit in Unna eine Möglichkeit gefunden hatte, wie ich jedes Wochenende einen Urlaubsschein bekommen konnte, galt es nur noch, das Transportproblem zu lösen, wie komme ich von Unna nach Warstein und wie komme ich von Warstein wieder zurück nach Unna? Ich zwei Kannidaten im Visier:

1. Hauptfeldwebel und unser Spieß: Lothar Dublaski
2. Feldwebel und Büroleiter: Tossy Cramer

Als Berufssoldaten hatten sie so ziemlich jedes Wochenende Urlaub und jeder nannte einen VW-Käfer sein Eigen ...und, fuhren sie beide in Richtung Warstein und zurück. Mein bevorzugter Kannidat auf Rang 1 hatte ich Tossy Cramer gesetzt und meine Reserve auf Platz 2 war Lothar Dublaski. Um nicht aufzufallen, da ich mehr Wochenendurlaub hatte als mir zustand, mußte ich einigermaßen regelmäßig den Fahrer wechseln. Während die Fahrten mit dem Spieß für mich, soweit es die deutsche Geschichte und das Leben in Ostpreußen betraf sehr lehrreich und interessant waren, ging es bei Tossy eher langweilig zu. Die Autobahn A44 gab es damals noch nicht und wir mußten die B1 fahren. Tossy nahm seinen Kumpel Unteroffizier Aschhoff mit. Vom Rücksitz des Käfers aus, konnte ich nicht an den massiven Köpfen und speckigen Nacken nicht vorbei sehen. Außerdem trugen beide immer ihre großen Ausgehmützen. Erst kurz vor Ampen stieg Unteroffizier Aschhoff aus und ich durfte auf dem angewärmten und durchgesessenen Beifahrersitz Platz nehmen. Einmal hatten wir einen Plattfuß kurz vor Werl und beide standen da wie Ölgötzen. Nachdem wir ausgestiegen waren und den Plattfuß vorne links bewunderten, stellte Tossy die bemerkenswerte Frage: "Was nun?" Er hatte tatsächlich keine Ahnung, wie man nun das platte Rad gegen das Reserverad umtauschen mußte. Aber, er wusste, wo sich sein Reserverad und der Wagenheber befanden. Ich hatte meinem Vater schon mit 12 Jahren beim Reifenwechseln geholfen und deshalb konnten wir nach einer Viertelstunde weiterfahren. 

Beim Spieß hatte ich das Gefühl, dass er mich, als Viertelostpreuße sehr gerne mitnahm. Ich war bemüht, ein guter Zuhörer zu sein und er gab besonders gerne mit seinem umfangreichen Wissen über die deutsche und europäische Geschichte an. Außerdem war sein Lieblingsthema: Napoleon und dessen Einfluss auf Deutschland. Wenn er bis Erwitte mit seinen Referaten nicht fertig war, bot er sehr oft an, bis Warstein zu fahren um vielleicht noch einen Kaffee bei meiner Mutter zu trinken und über Ostpreußen zu reden. 

Wenn das mal nicht klappte, stieg ich in Erwitte aus und fuhr die letzten 20 Kilometer per Anhalter nach Suttrop. Dafür ließ ich natürlich meine ungeliebte Uniform an, weil die meißten männlichen Autofahrer im letzte Krieg gedient hatten und neugierig waren ob es noch genau so hart zuging wie im Dritten Reich. Gleichzeitig gaben sie mit ihren Heldentaten aus der Kriegszeit an. Deshalb dauerte es höchsten 10 Minuten, dann saß ich schon im Auto eines Fremden und war unterwegs nach Warstein. 

Natürlich kam es auch mal vor, dass der Spieß zu einem Lehrgang mußte oder Urlaub hatte und in diesem Fall sprang mein Ersatzfahrer Tossy ein. In diesen Fällen mußte ich auf dem Rücksitz Platz nehmen. Aus meiner Sich bot sich ein Anblick, den ich bis heute nicht vergessen habe. Zwei gleichgoße und gleich wohlgenärte Feldwebelnacken und jeweils einer Schirmmütze darauf, war schon etwas sehr spezielles.

Der Besuch beim Kompaniechef zog sich hin. Als nach einer halben Stunde die Bürotür des Kompaniechefs aufging und zwei Hauptleute herauskamen, sprang der Spieß auf: "Hauptmann Bieg." Wobei er den größeren Hauptmann ansprach "Das ist der Rekrut Gerstenköper für Herrn Hauptmann Schulze." Der nettere der beiden Hauptleute gab mir die Hand und sagte: "Dann kommen sie gleich mal mit mir!"

Ich wollte eigentlich nur meinen Urlaubsschein unterschrieben haben, aber nun war ich in einer unglücklichen Situation. Ich konnte doch nicht jetzt danach fragen. Der Spieß rettete mich aus der prekären Situation und rief mir hinterher: "Wegen ihres Urlaubsscheines kommen sie gleich noch zu mir!" Ich war gerettet.

Mit Hauptmann Schulze ging ich rüber zum Divisionsgebäude, in dem bis zum Generalstab die gesamte Divisionsverwaltung untergebracht war. Hier arbeitetet Soldaten und Zivilisten (Frauen und Männer) zusammen. Dementsprechend herrsche hier auch eher ein normales Arbeitsklima. Hauptmann Schulze stellte mir Oberfeldwebel Orlich vor, der seinen rechten Arm in Gips trug, weil er auf einem Barhocker eingeschlafen war. Sachen gibt es. Die wehrpflichtigen Soldaten machten auch einen ganz entspannten Eindruck. Mir fiel auf, dass alle Jungs 1,70 m groß waren und ich hatte das "Gardemaß" von 1,80 m. Wenn ich später mit den Jungs zum Essen ging, machten einige Soldaten dumme Bemerkungen. "Führst du deine Kinder mal wieder aus?" 

Das Gespräch mit Hauptmann Schulze dauerte 2 Stunden. Er leitete die Kartenstelle und war verantwortlich, dass bei Manövern die beteiligten Einheiten mit Kartenmaterial versorgt wurden. Er hätte für mich bei Bertelsmann in Gütersloh in der Kartenherstellung eine Platz für 4 Wochen klargemacht, damit ich später als "Divisions-Gefechtszeichner" bei Manövern die aktuellen Kampflagen zu Papier bringen konnte. 

Ich hatte die Fahrschulzeit in Unna auch dazu genutzt, mir den Laden einmal gründlich anzusehen und mir eine Abteilung auszugucken, die verwandt war mit meiner Ausbildung als Technischer Zeichner. Im Auftrag von unseres Kompaniechefs Baumann in Hemer, sollte ich wegen einer Rolle Malkarton und diverser Plakatfarben bei einem Hauptmann Schulze des DivTop des Divisions-Topografen sollte vorstellig werden. Hauptfeldwebel Dublaski beschrieb mir den Weg zum Div.Top. Da ich niemals im Leben vor den s.g. Respektspersonen besondere Ehrfurcht entgegenbrachte, schlenderte ich in lockerer Haltung zum Stabsgebäude, beide Hände in den Taschen und schon passierte es. Ein alter Stabsfeldwebel mit sehr vielen Orden und einem Edelweiß an der Mütze, also ein Gebirgsjäger aus Bayern kreuzte meinen Weg. Er fragte mich: "San Sie no gsund?" Ich wollte gerade bejahen, da legte er los, mit einer Stimme wie Donnerhall in den bayrischen Bergen: "Jo, do leck mi doch oana am Oasch! Laffd da Kerl herum, ois ob ea auf am Stachus spaziern gäd! San sie bläd?" Für alles Andere, was er dann von sich gab, war ich nicht mehr aufnahmefähig. Nie zu vor bin ich in der Dienstzeit derartig zusammengeschissen worden wie von diesem Bayer. Ich bevorzugte jetzt stramme Haltung, um ihn etwas zu besänftigen und milder zu stimmen. Als er fertig war, sagte er noch in einer völligen anderen Tonlage, beinahe väterlich: "Sie soidn moi zum Frisör gengan!" Ein Auto fuhr vor, er stieg ein und weg war er. Es kam mir vor, als hätte ich noch eine Stunde in strammer Haltung da gestanden. Ein Gefreiter lief an mir vorbei und fragte: "Iss was?" So langsam fand ich zurück ins normale Leben. Das Auto mit dem Stabsfeldwebel fuhr durchs Haupttor auf die Iserlohner Straße und weg war er. Ich dachte darüber nach, ob ich meine Einstellung zu Respektspersonen noch einmal gründlich überdenken sollte. 
 
Im Stabsgebäude grüßte ich für heute erst einmal jeden, der nach einem Vorgesetzten aussah. Aber es liefen auch sehr viele Zivilangestellte mit Akten unter den Armen herum oder standen in Grüppchen auf den Fluren herum und unterhielten sich über dienstliche sowie private Themen. Das gefiel mir, das war ja wie bei den Warsteiner-Eisenwerken, meinem Brötchengeber." Ich verspürten schon soetwas wie ein anheimeldes Gefühl. Hier werde ich es aushalten können, sind ja nur noch neun Monate. Bei einem Gemisch von Zivilisten und Soldaten, kann es nicht so schlimm werden wie in Hemer.

Dass ich nach Unna zur Stabskompanie in die Abteilung von Hauptmann Schulze, des Divisions-Topografen (DivTop) versetzt wurde, war mein Glück. Während der Fahrschule lernte ich ihn kennen, als er gerade von einer Fahrt aus der Lüneburger Heide zurückkam und mir stolz über seine Arbeit erzählte. Er hatte in Zusammenarbeit mit den Landes-Vermessungsämter kontrolliert, ob die Triangulationspunkte (TP-Punkte) noch dort standen, wo sie laut Eintragung in den Karten stehen mussten. Außerdem erfuhr ich, dass er aus Berlin stammte und sein Vater ein sehr großes Taxiunternehmen hatte. Nun wohnte er in Unna, war geschieden und nun frisch verheiratet mit einer 20 Jahre jüngeren Frau und vor 6 Monaten ist er Vater einer Tochter geworden. Er war freundlich und menschlich, was wir in Hemer so vermissten. Hauptmann Schulze befahl nicht, sondern wenn er mir Aufgaben übertrug, war ich immer davon überzeugt, dass ich mit einem angenehmen Kollegen zusammen arbeite. 

In unserer Grupen war Unruhe eingekehrt, was wird aus uns, fängt das Ganze Dilema wieder von vorne an? Wieder Spind einräumen, verlegen auf die neuen Kameraden sehen. Sympathie, ja oder nein? Ich hatte das Thema angesprochen, wir trafen uns in der Kantine um 19:00 Uhr. "Sechs Bier und eine Cola." bestellte ich die erste Runde. Außerdem war ich der Einzige, der am Monatsende noch Geld hatte, weil ich Nichtraucher war. Bereits Mitte des Monats ging die Anpumperei der Raucher los: "Haste mal ne Mark für mich? Bekommse am Zahltag wieder!" Gab man dem Raucher das Geld, war es weg. 

Das Versprechen . Die Jungs hatten sich daran gewöhnt, dass ich keinen Alkohol trank. Gelästert wurde trotzdem: "Wer noch keinen Bart hat, darf auch noch kein Bier trinken!" In der Tat, bei mir war absolut noch kein Bartwuchs festzustellen. Hatte einen großen Vorteil, ich konnte morgens eine Viertelstunde länger liegen bleiben. Erst ab meinem 24. Lebensjahr lieh ich mir hin und wieder von meinem Vater einen Rasierapparat.




Am Morgen nach ihren Saufgelagen beim Antreten: Die frische Farbe war aus den Gesichtern der Kapos verschwunden. Sie standen vor uns wie die Ölgötzen. Die Schikane-Gehirne lieferten kaum noch Daten, in der Gehirnhälfte herrschte das reinste Chaos, nichts passte mehr zusammen. Das Schlimmste, was passieren konnte, war eingetreten, die geordnete Reihenfolge war völlig durcheinander geraten. Die Befehlskette von 1 bis 104 war gerissen und wie eine Fahrradkette in einzelne Glieder zerfallen. So sehr sich die Kapos auch bemühten klare Gedanken zu fassen, es kam nur noch wirres Zeug aus ihnen heraus. Einige wussten nicht einmal mehr, wie sie hießen. Es folgten Befehle wie: " Links rum kehrt das Gewehr auf die Stuben, im Gleichschritt ohne Tritt hinlegen! " Oder „ Fünfte Gruppe links und rechts um, dabei in volle Deckung und in die Betten ohne Tritt in Reihe aufstellen! " Wir machten dann irgend etwas und wurden auch dafür zusammengepfiffen.   

Sie schoben ihren Katerzustand auf das miese Wetter oder die zu engen Hosen der neuen Kampfanzüge aber dass sie heute Nacht erst um zwei Uhr sternhagelvoll ins Bett gefallen sind, davon war keine Rede. Der Hilfsausbilder Fritz stand schon vor unserer Gruppe und versuchte uns für Heinrichs in Linie aufzustellen. StUffz. Heinrichs stand vor der achten Gruppe und gab unverständliche Befehle bis ihn sein Saufkumpane, StUffz Hartmann, das war der mit den dreckigen Hemdkragen, wegjagte: " Geh zu deiner eigenen Gruppe! " Heinrichs kam in Schlangenlinie auf uns zu gestiefelt und schrie: " Wo ist Koschinski? " Ich sagte: " Krank ." Heinrichs rauschte auf mich zu, so dicht, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten und brüllte: " Was haben Sie gesagt? " Angeekelt von seinem Gestank aus seinem Mund nach dem billigen Fusel vom Vortag, sagte ich " Krank! " Jetzt kam er richtig in Form, er schrie mich an: " Das heißt krank, Herr Stabsunteroffizier! " Mit einem Augenaufschlag wie Marilyn Monroe, sagte ich provozierend: " Ach so! " Nun war der Teufel los. Ich musste 10 Liegestützen und 20 Kniebeugen machen. Damals, in der Form meines Lebens, hatte das keine Bedeutung für mich, Nasenbohren wäre anstrengender gewesen. Meine Nachfrage, ob ich wegen der Liegestützen und den Kniebeugen nun vom heutigen Sport befreit sei, hatte zur Folge, dass ich dreimal um den Antreteplatz laufen mußte. 

Ich weiß nicht, warum aber Werner stand plötzlich auf, nahm sein Tablett und sagte nur kurz: " Du solltest ein Buch schreiben ." Dann ging er drei Schritte und drehte sich noch einmal zu mir um bevor er weiter zur Geschirrabgabe ging und sagte die lobenden Worte: " Aber ganz normal bist du auch nicht! " Er war eben ein netter Kerl durch und durch.

Der Morgen danach. ...

Alles war wie immer, auch an diesem Morgen. In Hemer gingen unsere letzten Tage dahin und der Moment rückte näher, an dem wir zu unseren Stammeinheiten mussten. Es lag eine allgemeine Nervösität in der Luft. Außer mir, wußte keiner der Rekruten was auf ihn zukommtin in der neuen Einhait. 

Nur ich konnte mich schon eine Woche früher nach Unna absetzen und durfte mir im Kompaniegebäude bereits eine Stube und einen Spind aussuchen. Anhand einer Liste, wußte ich welche Stuben ganz frei waren  und welche zum Teil oder ganz von der Kompanie belegt war. Ich weiß heute nicht mehr, warum meine Wahl auf die Stube 43 fiel, aber im Nachhinein gesehen, war die Entscheidung goldrichtig. Vor dem Fenster lag der Sportplatz, also tagsüber keine Kasernenhofgebrüll. Statt der vier Betten, gab es nur zwei. Eines an der linken und eines an der rechten Wand. Ein Tisch und zwei Stühle. Der Raum wirkte durch die geringere Möbellierung viel größer als die anderen "Buden". Das Besondere jedoch, war der leere Blechspind vom Roten Kreuz. Die Schlüssel steckten noch und ich stellte fest, dass der Spind leer war. Die Schlüssel nahm ich erst mal an mich. Sicher ist sicher. Ich hatte da eine Idee in Richtung Natoalarm. Dazu später. 

Nachdem ich mein Quartier für die Zeit in der Stabskompanie der 7. Division gesichert hatte, meldete ich mich im Geschäftszimmer, gab meinen "Mietvertrag" ab und verlangte einen blanco Urlaubsantrag für die Zeit von Wehnachten bis Neujahr. Der Schreibstubenhengst sah mich an wie das siebente Weltwunder und schnauzte: " Bist du bekloppt, kaum hier und schon Urlaub? " Ich antwortete: " Nee, bekloppt bin ich nicht aber Urlaub möchte ich schon! " Was er dann vor sich her maulte, konnte ich nicht verstehen. Er trug mich in ein Buch ein und händigte mißmutig mir den Antrag aus. Auf dem Besuchertisch füllte ich den Schein aus und übergab ihn dem Schreibstubenhengst: " Da fehlt noch das Datum! " ranzte er mich wieder an. Ich trug das Datum ein und er war zufrieden. Brachhte den Antrag in das Zimmer des Kompaniefeldwebel und ich hörte wie der Spieß fragte: " Für wehn? " 

Nach 10 Minuten ging die Tür wieder auf und es trat ein Hauptmann wie aus dem Bilderbuch heraus. Hellgraue Uniform, leicht angegraute Naturwellen an den Schläfen, Silberlitzen und Silbersterne. Zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, dass er in der Kaserne " Der schönste Hauptmann der Division " genannt wurde. Freundlich begrüßte er mich: " Guten Tag Herr Gerstenköper, sie sind mein Neuer? " Ich klappte die Hacken zusammen und legte meine Hände an die Hosennaht: "Jawohl Herr Hauptmann!" Er legte seine rechte Hand auf meine linke Schulter und schaute mich väterlich an: " Nun mal ganz ruhig, Sie kommen gleich zu mir, wenn sie mit dem Hauptfeld fertig sind ." Ich antwortete völlig unmilitärisch: " Mache ich ." Der Hauptmann hatte keine Beanstandung und verabschiedete sich mit: "OK, bis gleich." Ich verspürte eine Glückseeligkeit, nicht wieder so ein Brüllaffe, nicht wieder so ein geistloser Schreihalz. Die Zeit in Unna wird sicher schnell und gut verlaufen bis ich wieder im Konstruktionsbüro der Warsteiner-Eisenwerke Geräte konstruieren konnte. Die Schinderei in Hemer war vergessen. 

Etwas Sorge bereitete mir mein Urlaubsschein. Ob der Spieß ihn wohl genehmigt. Wenn es dann wenigtstens über Weihnachten wäre, könnte ich mich damit abfinden. Mal sehen, wie es ausgeht. Kompaniefeldwebel (Spieß) Lothar Dublaski (Ostpreuße) schaute kurz ins Geschäftszimmer und rief mir zu: "Nehmen Sie Platz, ich bin gleich für Sie da." Er wies mich freundlich an, auf einem der drei Besucherstühle Platz zu nehmen. Eine derartige Freundlichkeit bei der Bundeswehr war ich absolut nicht gewohnt und gleich stieg in mir aufgrund der bösen Erfahrungen in Hemer, ein gewisser Argwohn auf, denn der Kompaniedienst und der Bürodienst waren zwei verschiedene Stiefel. 

Es dauerte nicht lange, da klingelte beim Hengst das Telefon  und er sagte nur: " Jawohl, Herr Hauptfeld !" Legte auf und sagte zu mir: " Du sollst reinkommen ." Der Spieß begrüßte mich äußerst freundlich und bat mich Platz zu nehmen.  Nachdem ich mir den mittleren der drei Stühle ausgesucht hatte, fragte mich der Spieß: " Sie kommen aus Warstein ?" " Jawohl Herr Hauptfeldwebel! " Kurze Pause. " Mein Feldwebel Cramer kommt aus Suttrop, kennen Sie den? " Nachdem ich das bejat hatte, schob ich noch hinterher: " Bei uns wird er  Tossy genannt, warum weiß ich nicht. Ist ein Freund meines Vaters. " " Sie sind aber in Castrop geboren, kommt ihre auch aus Mutter Castrop? " " Sie ist dort aufgewachsen, geboren aber in Damrau, Ostpreußen. " Er stand auf, hob beide Hände, so als ob er mich umarmen wollte: " Ich bin auch Ostpreuße, komme aus..... !" (habe den Ort vergessen)

'Ja, toll dachte ich, habe ich einen neuen Freund?' 

Nachdem ich gleich zu Anfang meiner Dienstzeit in Unna eine Möglichkeit gefunden hatte, wie ich jedes Wochenende einen Urlaubsschein bekommen konnte, galt es nur noch, das Transportproblem zu lösen, wie komme ich von Unna nach Warstein und wie komme ich von Warstein wieder zurück nach Unna? Ich zwei Kannidaten im Visier:

1. Hauptfeldwebel und unser Spieß: Lothar Dublaski
2. Feldwebel und Büroleiter: Tossy Cramer

Als Berufssoldaten hatten sie so ziemlich jedes Wochenende Urlaub und jeder nannte einen VW-Käfer sein Eigen ...und, fuhren sie beide in Richtung Warstein und zurück. Mein bevorzugter Kannidat auf Rang 1  hatte ich Tossy Cramer gesetzt und meine Reserve auf Platz 2 war Lothar Dublaski . Um nicht aufzufallen, da ich mehr Wochenendurlaub hatte als mir zustand, mußte ich einigermaßen regelmäßig den Fahrer wechseln. Während die Fahrten mit dem Spieß für mich, soweit es die deutsche Geschichte und das Leben in Ostpreußen betraf sehr lehrreich und interessant waren, ging es bei Tossy eher langweilig zu. Die Autobahn A44 gab es damals noch nicht und wir mußten die B1 fahren. Tossy nahm seinen Kumpel Unteroffizier Aschhoff mit. Vom Rücksitz des Käfers aus, konnte ich nicht an den massiven Köpfen und speckigen Nacken nicht vorbei sehen. Außerdem trugen beide immer ihre großen Ausgehmützen. Erst kurz vor Ampen stieg Unteroffizier Aschhoff aus und ich durfte auf dem angewärmten und durchgesessenen Beifahrersitz Platz nehmen. Einmal hatten wir einen Plattfuß kurz vor Werl und beide standen da wie Ölgötzen. Nachdem wir ausgestiegen waren und den Plattfuß vorne links bewunderten, stellte Tossy die bemerkenswerte Frage: " Was nun? " Er  hatte tatsäächlich keine Ahnung, wie man nun das platte Rad gegen das Reserverad umtauschen mußte . A ber, er wusste, wo sich sein Reserverad und der Wagenheber befanden. Ich hatte meinem Vater schon mit 12 Jahren beim Reifenwechseln geholfen und deshalb konnten wir nach einer Viertelstunde weiterfahren.  

Beim Spieß hatte ich das Gefühl, dass er mich, als Viertelostpreuße sehr gerne mitnahm. Ich war bemüht, ein guter Zuhörer zu sein und er gab besonders gerne mit seinem umfangreichen Wissen über die deutsche und europäische Geschichte an. Außerdem war sein Lieblingsthema: Napoleon und dessen Einfluss auf Deutschland . Wenn er bis Erwitte mit seinen Referaten nicht fertig war, bot er sehr oft an, bis Warstein zu fahren um vielleicht noch einen Kaffee bei meiner Mutter zu trinken und über Ostpreußen zu reden.   

Wenn das mal  nicht klappte, stieg ich in Erwitte aus und fuhr die letzten  20 Kilometer per Anhalter nach Suttrop. Dafür ließ ich natürlich meine ungeliebte Uniform an, weil die meißten männlichen Autofahrer im letzte Krieg gedient hatten und neugierig waren ob es noch genau so hart zuging wie im Dritten Reich. Gleichzeitig gaben sie mit ihren Heldentaten aus der Kriegszeit an. Deshalb dauerte es höchsten 10 Minuten, dann saß ich schon im Auto eines Fremden und war unterwegs nach Warstein. 

Natürlich kam es auch mal vor, dass der Spieß zu einem Lehrgang mußte oder Urlaub hatte und in diesem Fall sprang mein Ersatzfahrer Tossy ein. In diesen Fällen mußte ich auf dem Rücksitz Platz nehmen. Aus meiner Sich bot sich ein Anblick, den ich bis heute nicht vergessen habe. Zwei gleichgoße und gleich wohlgenärte Feldwebelnacken und jeweils einer Schirmmütze darauf, war schon etwas sehr spezielles.

Der Besuch beim Kompaniechef zog sich hin. Als nach einer halben Stunde die Bürotür des Kompaniechefs aufging und zwei Hauptleute herauskamen, sprang der Spieß auf: "Hauptmann Bieg." Wobei er den größeren Hauptmann ansprach "Das ist der Rekrut Gerstenköper für Herrn Hauptmann Schulze." Der nettere der beiden Hauptleute gab mir die Hand und sagte: "Dann kommen sie gleich mal mit mir!"

Ich wollte eigentlich nur meinen Urlaubsschein unterschrieben haben, aber nun war ich in einer unglücklichen Situation. Ich konnte doch nicht jetzt danach fragen. Der Spieß rettete mich aus der prekären Situation und rief mir hinterher: "Wegen ihres Urlaubsscheines kommen sie gleich noch zu mir!" Ich war gerettet.

Mit Hauptmann Schulze ging ich rüber zum Divisionsgebäude, in dem bis zum Generalstab die gesamte Divisionsverwaltung untergebracht war. Hier arbeitetet Soldaten und Zivilisten (Frauen und Männer) zusammen. Dementsprechend herrsche hier auch eher ein normales Arbeitsklima. Hauptmann Schulze stellte mir Oberfeldwebel Orlich vor, der seinen rechten Arm in Gips trug, weil er auf einem Barhocker eingeschlafen war. Sachen gibt es. Die wehrpflichtigen Soldaten machten auch einen ganz entspannten Eindruck. Mir fiel auf, dass alle Jungs 1,70 m groß waren und ich hatte das "Gardemaß" von 1,80 m. Wenn ich später mit den Jungs zum Essen ging, machten einige Soldaten dumme Bemerkungen. "Führst du deine Kinder mal wieder aus?" 

Das Gespräch mit Hauptmann Schulze dauerte 2 Stunden. Er leitete die Kartenstelle und war verantwortlich, dass bei Manövern die beteiligten Einheiten mit Kartenmaterial versorgt wurden. Er hätte für mich bei Bertelsmann in Gütersloh in der Kartenherstellung eine Platz für 4 Wochen klargemacht, damit ich später als "Divisions-Gefechtszeichner" bei Manövern die aktuellen Kampflagen zu Papier bringen konnte. 

Ich hatte die Fahrschulzeit in Unna auch dazu genutzt, mir den Laden einmal gründlich anzusehen und mir eine Abteilung auszugucken, die verwandt war mit meiner Ausbildung als Technischer Zeichner. Im Auftrag von unseres Kompaniechefs Baumann in Hemer, sollte ich wegen einer Rolle Malkarton und diverser Plakatfarben bei einem Hauptmann Schulze des DivTop des Divisions-Topografen sollte vorstellig werden. Hauptfeldwebel Dublaski beschrieb mir den Weg zum Div.Top. Da ich niemals im Leben vor den s.g. Respektspersonen besondere Ehrfurcht entgegenbrachte, schlenderte ich in lockerer Haltung zum Stabsgebäude, beide Hände in den Taschen und schon passierte es. Ein alter Stabsfeldwebel mit sehr vielen Orden und einem Edelweiß an der Mütze, also ein Gebirgsjäger aus Bayern kreuzte meinen Weg. Er fragte mich: "San Sie no gsund?" Ich wollte gerade bejahen, da legte er los, mit einer Stimme wie Donnerhall in den bayrischen Bergen: "Jo, do leck mi doch oana am Oasch! Laffd da Kerl herum, ois ob ea auf am Stachus spaziern gäd! San sie bläd?" Für alles Andere, was er dann von sich gab, war ich nicht mehr aufnahmefähig. Nie zu vor bin ich in der Dienstzeit derartig zusammengeschissen worden wie von diesem Bayer. Ich bevorzugte jetzt stramme Haltung, um ihn etwas zu besänftigen und milder zu stimmen. Als er fertig war, sagte er noch in einer völligen anderen Tonlage, beinahe väterlich: "Sie soidn moi zum Frisör gengan!" Ein Auto fuhr vor, er stieg ein und weg war er. Es kam mir vor, als hätte ich noch eine Stunde in strammer Haltung da gestanden. Ein Gefreiter lief an mir vorbei und fragte: "Iss was?" So langsam fand ich zurück ins normale Leben. Das Auto mit dem Stabsfeldwebel fuhr durchs Haupttor auf die Iserlohner Straße und weg war er. Ich dachte darüber nach, ob ich meine Einstellung zu Respektspersonen noch einmal gründlich überdenken sollte. 
 
Im Stabsgebäude grüßte ich für heute erst einmal jeden, der nach einem Vorgesetzten aussah. Aber es liefen auch sehr viele Zivilangestellte mit Akten unter den Armen herum oder standen in Grüppchen auf den Fluren herum und unterhielten sich über dienstliche sowie private Themen. Das gefiel mir, das war ja wie bei den Warsteiner-Eisenwerken, meinem Brötchengeber." Ich verspürten schon soetwas wie ein anheimeldes Gefühl. Hier werde ich es aushalten können, sind ja nur noch neun Monate. Bei einem Gemisch von Zivilisten und Soldaten, kann es nicht so schlimm werden wie in Hemer.

Dass ich nach Unna zur Stabskompanie in die Abteilung von Hauptmann Schulze, des Divisions-Topografen (DivTop) versetzt wurde, war mein Glück. Während der Fahrschule lernte ich ihn kennen, als er gerade von einer Fahrt aus der Lüneburger Heide zurückkam und mir stolz über seine Arbeit erzählte. Er hatte in Zusammenarbeit mit den Landes-Vermessungsämter kontrolliert, ob die Triangulationspunkte (TP-Punkte) noch dort standen, wo sie laut Eintragung in den Karten stehen mussten. Außerdem erfuhr ich, dass er aus Berlin stammte und sein Vater ein sehr großes Taxiunternehmen hatte. Nun wohnte er in Unna, war gechieden und nun frisch verheiratet mit einer 20 Jahre jüngeren Frau und vor 6 Monaten ist er Vater einer Tochter geworden. Er war freundlich und menschlich, was wir in Hemer so vermissten. Hauptmann Schulze befahl nicht, sondern wenn er mir Aufgaben übertrug, war ich immer davon überzeugt, dass ich mit einem angenehmen Kollegen zusammen arbeite. 

In unserer Grupen war Unruhe eingekehrt, was wird aus uns, f ängt das Ganze Dilema wieder von vorne an? Wieder Spind einräumen, verlegen auf die neuen Kameraden sehen. Sympathie, ja oder nein? Ich hatte das Thema angesprochen, wir trafen uns in der Kantine um 19:00 Uhr. "Sechs Bier und eine Cola." bestellte ich die erste Runde. Außerdem war ich der Einzige, der am Monatsende noch Geld hatte, weil ich Nichtraucher war. Bereits Mitte des Monats ging die Anpumperei der Raucher los: "Haste mal ne Mark für mich? Bekommse am Zahltag wieder!" Gab man dem Raucher das Geld, war es weg. 

Das Versprechen . Die Jungs hatten sich daran gewöhnt, dass ich keinen Alkohol trank. Gelästert wurde trotzdem: "Wer noch keinen Bart hat, darf auch noch kein Bier trinken!" In der Tat, bei mir war absolut noch kein Bartwuchs festzustellen. Hatte einen großen Vorteil, ich konnte morgens eine Viertelstunde länger liegen bleiben. Erst ab meinem 24. Lebensjahr lieh ich mir hin und wieder von meinem Vater einen Rasierapparat.

Ich sagte: "Hört auf zu lästern, davon wächst der Bart auch nicht schneller, lasst uns lieber über unser die Zukunft beim Barras reden." Ich berichtete, über meinen Aussichten in Unna und dass ich sogar schon in meinem zukünftigen Büro an meinem Schreibtisch gesessen habe.

Peter Grabs: Bochum, Kanonenstraße. Er wollte unbedingt zu den Fernmeldern. Ich sah in später in Unna mit gelbem Spiegeln herumlaufen, er war also bei den "Kabelaffen" angekommen. Er nahm später jedes Jahr für zwei Wochen an Manövern teil und irgendwann hatte er sich bis zum Oberfeldwebel hochgedient. Wir haben nach der Bundeswehrzeit einige Male telefoniert, aber er pflegte seine kranke Mutter und hatte wenig Zeit. Ein weiterer Versuch, ihn zu treffen, scheiterte daran, dass er inzwischen leider verstorben war. 

Werner Döring :  Nach meiner Information kam nach Ahlen bei der Instandsetzung. 2003 habe ich ihn einmal angerufen und erfahren, dass er als Gutachter im Auftrag der Industrie- und Handelskammer als Prüfer. Er wohnte in Hamm. 

Günther Eickmann : War bei der Firma Schmöle angestellt. Leider machte er sich und uns das Leben oft schwer. Er wohnte nebenan in Menden und hatte eine feste Freundin. Er ließ keine Gelegenheit aus, sie zu besuchen. Obwohl wir in der Grundausbildung nur an ganz wenigen Tagen in Uniform für einige Stunden raus durften, schaffte er es beinahe wöchentlich einmal sie zu besuchen. An die festen Zeitvorgaben seiner Rückkehr hielte er sich ganz selten und brachte sich und uns in Schwierigkeiten. Einmal in der Woche war Gewehrreinigen von 18:00 bis 19:00 Uhr angesagt. Nach dieser Stunde fand die Überprüfung durch die Kapos statt. Meist trudelte Günther um 18:59 Uhr ein. Natürlich hatten wir auch immer sein Gewehr mit gesäubert. Auch er war für die Stabskompanien in Unna vorgesehen. Er kam schließlich auf das Geschäftszimmer des G1. Die Büroleiter waren die Herren OFW Wonnefeld und Stuffz Herdehuneke. Gehörte auch später zu unserem engeren Kreis. Er heiratete auch seine Freundin aus Menden. Durch seine häufigen Rendezvous brachte er unsere Stubenbelegschaft oft in heikle Situationen.  

Leo Hoffmann :   Er sollte ebenfalls nach Ahlen abkommandiert sein aber die Spur verlor sich dann im Sande. 2020 habe ich zu seiner Frau Kontakt aufgenommen. Leo ist leider in einem bedauernswerten Zustand, er kann sich nicht einmal daran erinnern, dass er jemals bei der Bundeswehr war. Armer Kerl.

Kalle Beerwerth : Kam aus Soest und meldete mit 17 Jahren freiwillig zur Bundeswehr. Er hatte unter der Willkür von Heinrichs und den anderen Ausbildern sehr zu leiden. Von einem Siebzehnjährigen ging wenig Widerstand aus und sie schikanierten ihn, versuchten ihn lächerlich zu machen, wo es eben nur ging. 1965 wurde ich noch einmal zu einer Wehrübung eingezogen zum Feldartilleriebataillon 71 - Lipperland Kaserne in Lippstadt. Ich bekam wieder eine komplette Ausrüstung verpasst aber dieses Mal verlief die Einkleidung in aller Ruhe ab. Der Oberfeldwebel, der mich einkleidete, war der Leiter der Kleiderkamm, es war Kalle Beerwerth. Mittlerweile zum stattlichen Hauptfeldwebel befördert. Ich habe mich sehr gefreut über seine jetzige Situation bei der Bundeswehr. 

 Unsere Vorgesetzten .... 
Die Stuben gaben uns eine gewisse Geborgenheit. Dass wir aber letztlich vor den Gemeinheiten der Ausbilder nicht sicher waren, bekamen wir ja in den ersten Wochen zu spüren. Größtenteils waren die Ausbilder bereits Soldaten in der Nazi-Armee und waren geschult darin, Menschen psychisch klein zuhalten. Als noch brauchbare Restbestände der Nazi-Ära wurden sie von der Bundeswehr übernommen. Das hatte zur Folge, dass die deutschen Offiziere und Unteroffiziere gegenüber dem NATO-Schnitt waren, genau wie ihre Gesinnung hoffnungslos überaltert. Obwohl man die übernommenen Soldaten um einen Dienstgrad höher einstellte, führte das nicht annähernd zu den gewünschten Ergebnissen.

Altherrenrunde...   
Hauptleute             bis 40 Jahre - Nato bis 28 Jahre + 12 Jahre
Majore                     bis 46 Jahre - Nato bis 32 Jahre + 14 Jahre
Oberstleutnante    bis 50 Jahre - Nato bis 35 Jahre + 15 Jahre
Oberste                    bis 52 Jahre - Nato bis 40 Jahre + 8 Jahre
Generäle                  bis 60 Jahre - Nato bis 50 Jahre + 12 Jahre  

Dann gab es auch noch über 2.000 Offiziere, die 1945 aus dem Unteroffiziersstand zu Offizieren ernannt wurden. Die eine ganz andere Sichtweise hatten als die von der Bundeswehr ausgebildeten jungen Offiziere, außerdem waren viele ungeeignete Lehrer, denn für sie lagen bis 1945 völlig andere Prinzipien zugrunde. Teilweise wurde der neue, vorgegebene disziplinarische Umgang mit dem “Staatsbürger in Uniform“ von ihnen diese Disharmonie bekamen wir zu spüren.


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