Stabsfeldwebel Mausewolf war für uns ein Held und ein guter Kamerad.
Er suchte sich 15 Soldaten zum Spähtrupp aus, um zu erkunden, ob die „Russen“ einen Angriff vorbereiteten. Als wir aus der Sichtweite der Kompanie waren, hielt er uns an, ließ eine Kreis um sich bilden und legte mit gedämpfter Stimme los: „Passt auf Jungs, morgen um 23:00 Uhr werden wir in unserer Stellung angegriffen. Wir scheißen was auf Platzpatronen, wir machen etwas, womit die nicht rechnen. Hinter dem Hügel sind Haselnussbüsche, schneidet euch jeder einen stabilen Zweig ab, ungefähr so dick und so lang wie ein Krückstock. Der Angriff von denen kommt zunächst direkt von vorne, aber ein Trupp setzt sich ab und greift uns von hinten an. Wir bilden zwei Fronten, eine für den Hauptangriff und eine für die Abwehr nach hinten. Ich bin dann mitten drin und ihr hört nur auf mein Kommando, habt ihr gehört Jungs, nur auf mein Kommando! Also, es fällt kein Schuss von uns, sobald sie in der Nähe unserer Gräben sind, gebe ich den Befehl für den Angriff. Die hintere Verteidigungslinie bleibt dann erst einmal ruhig. Auf mein Kommando springt ihr mit euren Stöcken raus und haut so feste zu, als ob gäbe es kein Morgen mehr und das Ganze mit viel Gebrüll. Schreit so laut ihr könnt immer Hurra! Wenn ihr das gut macht und gut draufgehauen habt, sind die weg und dann auf mein Kommando alle kehrt auf die hintere Linie los.“
So jetzt ab, Kappmesser raus und Stöcke schneiden. Aufgepasst, dass niemand was merkt, gut verstecken. Ihr schiebt die hinten durch den Hemdkragen rein bis zum Arsch, dann könnt ihr normal laufen und keiner sieht was.
Was für ein toller Kerl. Die Schlacht fand statt und wir haben gewonnen. Die Angreifer konnten einem am nächsten Tag schon etwas leidtun. Beinahe alle hatten Blessuren. Am schlimmsten hatte es Leutnant Adams getroffen. Der einundzwanzigjährige Leutnant hatte mehrere Verbände und machte einen sehr unglücklichen Eindruck.
Am Nächsten Tag schickte man mich auf Spähtrupp nach Marschzahl. Ich spazierte also der Richtung der Kompassnadel nach in den Wald. Leider wusste ich nicht, dass sich die Ausbilder an vielen Stellen versteckt hielten, um mich zu benoten und mein Verhalten war dementsprechend, so als ob ich alleine unterwegs wäre. Von zuhause wurde ich immer gut versorgt und hatte auch immer einige Leckereien im Rucksack. Auf dem nächsten Baumstumpf nahm ich Platz und holte eine Dose Ölsardinen raus, die mir meine Tante Anna aus Lippstadt geschickt hatte. Danach nahm ich einen Apfel in die Hand und den Helm hing ich an meinem Gürtel. Das Gewehr locker waagerecht mit dem Riemen über die Schulter, so dass es bequem waagerecht hing und machte mich auf den Weg gemäß der Kompassanzeige. Irgendwann war der Wald zu Ende und ich blickte von meiner Anhöhe direkt in die Bürofenster der Firma Graetz-Fernseher. Die Angestellten wurden auf mich aufmerksam und öffneten gutgelaunt die Fenster. Jemand rief: „Die Russen kommen!“ Eine junge Frau fragte: „Können wir was für Sie tun?“ Ich rief rüber: „Kann man hier irgendwo etwas trinken?“ Hundert Meter weiter sei eine Seltersbude, da gäbe es Cola. Als ich mit meinem Gewehr in der Bude auftauchte hatte ich viel mehr Platz als ich brauchte. Ich bekam meine Cola und machte mich auf den Rückweg. Übrigens brauchte ich die Cola nicht bezahlen.
Es war für mich nicht ganz einfach, den Rückweg zu finden, aber irgendwann traf ich wieder bei der Kompanie ein. Eine Stunde später war Besprechung und Auswertung. Ich konnte nichts sagen, weil ich keinen Feind getroffen hatte. Das mit der Imbissbude behielt ich für mich. Als ich an der Reihe war und beurteilt wurde, erfuhr ich, dass beinahe jeder Schritt von mir beobachtet wurde. Der Kompaniechef war fassungslos: „Da läuft der Kerl wie der Förster vom Silberwald in der Gegend herum, tritt uns fasst auf den Kopf und ist dabei am Mampfen als ob es morgen nichts mehr gibt“ Ich bekam die schlechteste Note von allen. Aber da bin ich ehrlich, die hatte ich mir auch redlich verdient.
Zurück in die Kaserne. Der Rückmarsch erfolgte nachts. Es wurden wieder Gruppen gebildet und wieder bekamen wir eine Marschzahl für den Kompass. Die Entfernung betrug so etwa 20 Kilometer. Die erste Gruppe sollte drei Tage Sonderurlaub bekommen, die Zweite zwei Tage und die Dritte einen Tag.
Nachts, und ohne Ortskenntnisse und nur nach Marschzahl, zwanzig Kilometer durchs Sauerland war eine nicht ganz einfache Angelegenheit. Von Altena nach Hemer war die direkte Linie etwa 200° In der Luft oder auf dem Wasser ist das kein Problem, die Gradzahl einzuhalten. Nachts über Berge, Steinbrüche oder über einen See, machte die Sache schwieriger. Wir hatten das große Glück, wir hatten unsere Geheimwaffe Lindner. Er war ein Sportler durch und durch und besonders gut im Langlauf. Dass ich mit dazu gehörte, war auch nicht das Schlechteste. Von Kindheit an wollte ich Pilot werden und konnte schon mit 10 Jahren prima mit einem Kompass umgehen. Also Lindner war unser Läufer und ich der Peiler. Lindner behielt nur noch seinen Sportanzug an und seine privaten Laufschuhe. Des weiteren erhielt er eine Taschenlampe, mit der man die Farben weiß, rot und grün darstellen konnte und einen Kompass. Ich behielt meine Marschausrüstung und eine Taschenlampe.
Lindner rannte immer 200 bis 300 Meter vor, blieb dann stehen und zeigte mit grün an, dass er bereit war, die Korrekturen zu empfangen. Über den Kompass konnte ich die Fehlstellung erkennen und blinkte ihn weiß an, wenn er mehr nach links und rot, wenn er mehr nach rechts musste. Sobald er auf der Linie der Marschzahl stand, blinkte ich grün und er wusste, er muss stehen bleiben bis wir bei ihm waren. So ging es dann bis nach Hemer weiter. Zwischendurch war eine Steinbruch und ein See, etwas hinderlich, aber Platz “1“ war sicher. Kurz vor dem Ziel gab es noch ein Stück Landstraße und da lauerte uns Heinrichs auf. Ich hatte einen guten Tag und übernahm noch zwei Gewehre und ein Sturmgepäck, weil zwei Jungs aus unserer Gruppe total am Ende waren. Sie schleppten sich dahin. Einer hatte schon Nasenbluten vor Überanstrengung. Ich hatte das Gefühl noch hundert Kilometer laufen zu können und es tat mir gut, den anderen ein Kamerad zu sein.
Ach ja, wir belegten Platz 1, zufällig war eine Gruppe zusammengekommen, die auch außerhalb der Bundeswehr Sport betrieb. Hinter der Gruppe, zu der Günther Mertens gehörte stand: Zeit nicht feststellbar. Die Truppe hatte sich irgendwie aufgelöst und jeder kam einzeln und zu anderen Zeiten. Sie hatten sich im Dunkel der Nacht verloren. Eigentlich sollte der Kontakt zum Vordermann nie abreißen.