Die Worte des Kompaniechefs Hauptmann Baumann: „Wer nicht grüßen kann, blamiert außerhalb der Kaserne unsere gesamte Innung!“ Es reichte also nicht aus, was uns unsere Eltern beigebracht hatten, höflich zu unseren Mitmenschen zu sein, sie freundlich mit: „Guten Tag“ oder „Auf Wiedersehen“ zu grüßen und dabei leicht nickend mit freundlichen Lächeln kurz die Mütze zu lüften. Und hier galt es schon als Gruß, wenn der Soldat auf einen ranghöheren Soldaten traf, wortlos und ohne die Mütze abzusetzen die Fingerspitzen an die Stirn zu legen. Es war dabei wichtig, die Fingerspitzen komplett an die Stirn zu legen, also nicht nur mit einem Finger an die Stirn tippen, denn das hätte als vorsätzliche Beleidigung ausgelegt werden konnte.
Das, was das Grüßen so schwierig machte, war der Umstand, dass sich beim Gruß vom Ellbogen bis zur Fingerspitze eine totale Gerade ergeben musste. Ich weiß nicht warum, aber bei mir klappte es auf Anhieb und Stabsunteroffizier Heinrichs ernannte mich kurzer Hand zum Grußhilfsausbilder der 5. Gruppe. Wir hatten einen Mordsspaß dabei. Ich stand als zu grüßende Pylone in der Gegend herum und aus der 5. Gruppe mussten die Kameraden an mir vorbeistolzieren, mich dabei grüßen und ich hatte jeweils den Gruß zu erwidern. Jedes Mal, wenn einer an mir vorbeiging und mich grüßte, sagte ich als Zeichen dafür, dass ich ihn erkannt hatte: „Blödmann“ und der grüßende Soldat antwortete: „Knallkopf.“ Wir waren jung und für jeden Unsinn zu haben.
Mit solchen Kleinigkeiten machten wir uns Spaß und mussten uns aber beherrschen, um nicht laut loszulachen. Nur unser Kamerad Ernst Schlenker begriff den Nonsens nicht und schnauzte mich sofort harsch an: „Ich bin nicht doof, du bist doof!“ Er war sehr erregt und machte Heinrichs, der mit seinen Kumpels im Kreis auf der angrenzenden Wiese herumlungerte, auf uns aufmerksam. Der kam auch prompt angerauscht und wollte wissen, warum wir uns streiten. Wahrheitsgemäß sagte ich: „Herr Stabsunteroffizier ich habe zum Panzergrenadier Schlenker gesagt, er sei doof.“ Heinrichs wich einen Schritt von mir zurück, sah mich ehrfürchtig an und klopfte mir mit dem Ausdruck höchster Anerkennung mit den Worten auf die Schulter: „Mensch Gerstenköper, aus ihnen könnte noch ein prima Unteroffizier werden!“ Er schmiss seine Zigarettenkippe auf den Boden, trat mit der Stiefelspitze darauf und drehte sie hin und her und sah mir dabei tief in die Augen: „Hat die Kippe nicht eben der Schlenker dahingeworfen?“ Ich antwortete reflexartig: „Ich weiß es nicht Herr Stabsunteroffizier, ich bin noch kein Unteroffizier!“ Er sah mich an und sagte nur: „Mann, sie sind eine Marke“ drehte sich um und latschte zu seinen Unteroffizierskumpeln und erzählte ihnen sofort was vorgefallen war. Nach einer Weile ertönte schallendes Gelächter und dabei sahen sie zu mir rüber. Wütend über mich selbst, fielen mir die letzten Worte meines Vaters am Kasernentor ein: „Versuche nicht aufzufallen, wenn die nach drei Monaten deinen Namen nicht kennen, hast du alles richtig gemacht.“ Na ja, nun war es eben passiert, aber es waren nur noch 8 Wochen. Während ich meinen Gedanken nachhing, sah ich Heinrichs, wie er einen verdatterten Rekruten anquatschte, der mal für einige Sekunden innehielt: „Männeken, wenn se nix zu tun haben, stehnse nich rum, übense Wendungen!“
Ernst Schlenker wurde noch während der Grundausbildung wieder nach Hause geschickt. Er war als Soldat ungeeignet. Beim Exerzieren konnte er sich schlecht die kleinen Feinheiten merken. Wenn es hieß „In Linie antreten“ dann folgte meist ein Befehl, in welche Richtung man den Kopf zu bewegen hatte. Wenn es hieß „Die Augen nach links oder rechts“, konnte man davon ausgehen, dass er den Kopf zur falschen Seite drehte.
Heinrichs schrie: "Und wenn ich sage links, dann muß es so schnell gehen, dass dem Nachbar der Rotz um die Ohren fliegt!"