Das Ende der Grundausbildung näherte sich unaufhaltsam. Ich weiß nicht warum, aber ich wollte heute einmal für eine kurze Zeit ohne meine Jungs sein. Ich zog meinen langen grauen Wintermantel an und ging Richtung Panzerstraße, um von der ersten leichten Anhöhe ein letztes Mal auf die Kaserne und auf Hemer zu blicken. Es war bereits dunkel, aber die Kasernenbeleuchtungen strahlten an allen Ecken. Aus dem Dunkel heraus maulte ein Wachposten rum: " Mach lieber, das du ins Bett kommst, in einer Viertelstunde ist Zapfenstreich und dann schießen wir scharf !" Ich rief zurück: " Witzbold, ihr trefft ja sowieso nicht! "
Nach und nach wurde eine Außenbeleuchtung nach der Anderen abgeschaltet. Ich verweilte noch ein bisschen und sah mir das Schauspiel an. Die dunklen Gebäude wuchsen langsam ineinander und das Gesamtgebilde der Kasernenanlage sah aus wie ein riesiges schlafendes Seeungeheuer. Die Blücher-Kaserne lag ruhig, wie festgesaugt in der Landschaft, aber es schien so, als ob dieses kraftvoll wirkende Wesen bereit war, blitzartig loszuschlagen, wenn es gereizt würde. Massive dunkle Steinblöcke mit Hunderten gleichgroßen Fenstern in gleichmäßigen Zweierreihen 1935 aufgestellt für die Unterbringung von Soldaten der deutschen Wehrmacht, die ebenfalls grau in grau gekleidet waren. Für die Planung dieses Objektes hat der Architekt allenfalls ein Lineal und einen Winkelmesser gebraucht. Architektonisch war das absolut keine besondere Herausforderung. Der Komplex hatte sich ausgebreitet und hatte Besitz ergriffen von einem riesigen Stück des wunderschönen Sauerlandes. Zwischen Hemer und Aprike wurde die Landschaft zerstört und unter Asphalt und grauen Betonblöcken begraben.
Es war ein kühler Donnerstag, so um 3° und vor einer Stunde hatte es noch ein wenig geregnet. Ich zog den Kragen etwas höher, weil es mir leicht fröstelte. Meine Schritte wurden etwas schneller, aber nicht, weil der Zapfenstreich schon um einige Minuten überschritten war, sondern deshalb, weil es inzwischen saukalt war. Im Kompaniegebäude empfing mich eine wohlige Wärme, ich fühlte mich hier schon ein wenig zu Hause. Auf der Stube 216 war es dunkel, meine fünf Kameraden lagen eingerollt in ihren Betten. Ich flüsterte: " Wer, meldet die Stube ab? " Peter Grabs antwortete: " Ist erledigt, habe gesagt, du hättest ansteckenden Durchfall und sitzt auf dem Klo ." Günther Eickmann murmelte im Halbschlaf: " Ich dachte, du seist, desertiert! " Auf dem Flur hörte ich noch Unteroffiziersanwärter Anton Zeppenfeld, der von Bude zu Bude ging. Ich kroch schnell in mein Bett aber mit dem Einschlafen wollte es nicht klappen. Vielleicht lag es an der Überdosis frischer Luft, die ich bei meinem Rundgang abbekommen habe.
Ich stand noch einmal auf und schaute aus dem Fenster neben meinem Spind. Man sagte damals: " Die Kaserne schläft nie! " Das war wohl auch so. Irgendwo, irgendwann hatte irgendeiner immer etwas zu erledigen und wenn es nur der Toilettengang war. Auch in dieser Nacht brannten hinter einigen Zimmerfenstern gedämpfte Lampen. Das waren in der Regel die Zapfenstreichheimkehrer, die noch schnell einen Happen aus ihrem Speisefach aßen und die letzten Reste aus den Bier- und Schnapsflaschen tranken. Sie gingen natürlich nicht in die Betten, ohne noch ein bisschen anzugeben, damit, dass sie beispielsweise endlich die Bedienung vom Lindenwirt herumgekriegt hatten. Da war meist der Wunsch der Vater des Gedankens. Selbst wenn es so war, genießen und schweigen wäre angebrachter gewesen. Ich mochte solche Quatschköpfe nicht.
In den Wachstuben brannte immer Licht. Der Wachhabende (UVD) lag meist auf dem Bett hinter der Spindwand und pennte, während der Gefreite vom Dienst (GVD) die Urlaubsscheine kontrollierte. Im Gebäude der Ausbildungskompanie 3/7 gab es nach Zapfenstreich kaum noch Bewegungen. Mein spätes Erscheinen hatte meine Kameraden noch zu einer kurzen Diskussion angeregt. Sie redeten anfangs noch halbwegs verständlich miteinander aber so nach und nach ging alles in unverständliches Gemurmel über. Wenn jemand im Halbschlaf fragte: " Was, hast du gesagt? " Dann war endlich Schluss. Der Gefragte war längs hinüber in seiner Traumwelt und der Fragende wollte die Antwort gar nicht mehr wissen.
Ab jetzt konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen. Ich war jetzt quasi für mich alleine und machte mir Gedanken über das Militär im Allgemeinen. Beim Kaiser hieß der Verein Reichswehr unter den Nazis Wehrmacht und nun Bundeswehr . Alle wollten damit zum Ausdruck bringen, wir sind die Guten, wir wehren uns nur, dann wenn man uns angreift. Das ist schon zweimal richtig schief gegangen. Nach dem Attentat von Sarajevo auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau durch einen nationalistischen Serben am 28. Juni 1914 war dies der Auslöser für den Ersten Weltkrieg. Eine gute Gelegenheit, den Angriffskrieg als Vergeltungsschlag zu tarnen und auf die Weise die ungeliebten Nationalsozialisten für immer auszuschalten. 9.442.000 tote Soldaten und Zivilisten für das Leben des Thronfolgers und seiner Frau. Ich nahm mir vor, morgen mit den Jungs darüber zu sprechen. Leo wird wieder sagen: „ Da habe ich keine Ahnung von! “
Mir fiel unser erster Tag ein, als wir in dieser Stube noch unbeholfen aufeinander zugingen. Keiner traute sich so richtig, den anderen anzusprechen. Jetzt, nach beinahe 3 Monaten, war da etwas Unbeschreibliches gewachsen. Im Zivilleben gibt es dafür kein Wort, aber bei den Soldaten nennt man das Kameradschaft und wird sogar per Soldatengesetz verordnet:
§ 12 SG Kameradschaft: Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen.
Als, wenn das so einfach wäre. Kameradschaft lässt sich nicht verordnen. Kameradschaft fühlt man meist dann, wenn es Situationen gibt, in denen man das eigene ich zum Wohle der Gemeinschaft in den Hintergrund stellt. Ich habe daraus gelernt, dass man sich selbst nicht so wichtig nehmen sollte. Dass wir uns in der kleinen Gruppe so hervorragend verstanden, war nicht selbstverständlich. Es gab Gruppen, da flogen sehr oft die Fetzen. Drei Stuben weiter fand in dieser Woche eine wüsste Schlägerei statt. Am Ende war nicht herauszubekommen, wer eigentlich wen geschlagen hatte und warum. Die Bestrafung folgte auf dem Fuße, die Jungs hatten sich ihr Weihnachtsfest zu Hause versaut. Sie mussten allesamt über die Feiertage Wache schieben.
Mit diesen Typen, die hier in unserer gemeinsamen Stube in ihren Betten lagen, hatte ich das große Los gezogen. Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass sie inzwischen abgesackt waren in ihre eigene Traumwelt. Wovon träumt Leo wohl? Vielleicht hat eine seiner Brieftauben den ersten Preis geholt? Oder der immer verliebte Günther, eventuell von dem letzten Abend mit seiner Hildegard? Egal wie schön die Träume auch waren, morgen früh müssen sie alle wieder raus, den Tageszähler auf null stellen und dann sehen, was der Tag so bringt. So wie an unseren ersten Tagen konnten uns die Schreihälse nicht mehr überraschen. Wir hatten Mittel und Wege gefunden, wie wir ohne große Anstrengung den Tag hinter uns bringen konnten. Zum Ersten waren wir beinahe schon perfekte Soldaten und zum zweiten kannten wir ihre Tricks schon durch und durch.
Mein Traum....
Langsam setzte auch bei mir die Müdigkeit ein. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, innerhalb weniger Minuten war ich wohl im Tiefschlaf. Aufgeschreckt wurde ich von Zeppenfelds Trillerpfeife und seinem Gebrüll: " Kompanie aufstehen! " Einige Minuten hatten wir noch, bis er an unserer Stube ankommt. Ich saß etwas benommen auf meiner Bettkante und versuchte, mich an meinen Traum zu erinnern. Das klappte in jungen Jahren noch hervorragend. Obwohl ich heute auch noch häufig träume, kann ich mich aber nur schemenhaft daran erinnern was ich geträumt hatte.
OOO Also ich hatte geträumt, das ich 1961 zum Ende unserer Grundausbildung mit Werner Döring in der Kantine zum Mittagessen war. Es gab mein Leibgericht, Gulasch mit Nudeln. Darauf hatte ich mich schon die ganze Woche gefreut. Wir konnten den Nachmittag langsam angehen. Für heute standen nur einige Belehrungen auf dem Dienstplan und 30 Minuten Unterricht mit StUffz. Heinrichs über den Staatsbürger in Uniform. Werner erzählte von zu Hause. War nicht so spannend, ich fühlte, dass er wohl etwas Heimweh hatte. Er war zufrieden, dass ihm jemand zuhörte. Zunächst sprach er von seinen Eltern, den beiden Geschwistern und dann von seiner langjährigen Freundin. Ich kannte das alles schon aber ließ es mich nicht anmerken. Mit der einen der rechten Hälfte meines Gehirns hörte ich Werner zu und nahm die wichtigsten Eckpunkte auf, um hin und wieder ein: " Ja, da hast du recht. " Oder " Das ist ja unglaublich! " Von mir zu geben. Mit der linken Hälfte meines Gehirns, die bekanntlich für analytische Denkprozesse aufnahmefähig ist, grübelte ich darüber nach, wie denn wohl so ein Unteroffiziersgehirn aufgebaut ist.
Werner hatte sich alles, was ihn bedrückte, von der Seele geredet und sah mich mit auffordernder Gestik an, nun etwas von meinem Zuhause zu erzählen. Er fragte: " Wie, ist es denn so bei dir zu Hause? " Darüber wollte ich jetzt nicht reden, ich hatte mich gedanklich festgebissen. Ich schaute ihn an und sagte: " Du Werner, weißt du, woran ich jetzt denke? " Er verdrehte die Augen und fragte: " Woher, soll ich das denn wissen, woran du jetzt denkst? "
" Werner, ich denke gerade darüber nach, wie wohl so ein Unteroffiziersgehirn aufgebaut ist und wie es sich so entwickelt hat " Er sah mich mitleidig an und fragte: " Was hast du denn für Schmerzen? " Ich ließ nicht locker: " Es, ist doch so, ein Kapo kommt ja nicht gleich als Kapo auf die Welt, der ist doch erst einmal normal, so wie Du und ich, oder vielleicht nicht ganz so, aber erst einmal unauffällig! " In dieser Hinsicht stimmte er mir zu. " Das wäre ja ein Ding, wenn man einem Neugeborenen ansehen würde, ob er sich zum Kapo oder Lokomotivführer entwickelt. " Ob er wollte oder nicht, Werner musste sich jetzt meine Theorie anhören.
Ich philosphierte weiter. Das Verhalten unserer Kapos bestärkte mich in dem Glauben, dass bereits die Eltern eines späteren Kapos wahrscheinlich über weniger Gehirnmasse verfügten, als ein Durchschnittsdeutscher. Aber das war nur eine reine Vermutung von mir. Ich ging davon aus, das sobald ein Zivilist den Entschluss gefasst hatte, sich freiwillig beim Militär zu verpflichten, um einmal Kapo zu werden, stellte sich spontan die rechte Gehirnhälfte, erschrocken über diese absurde Idee, jegliches Wachstum ein, erstarrte in der Nullphase und entwickelte sich nicht mehr weiter. In diesem Zustand warteten die Gehirnzellen regungslos auf den ersten T ag des Unteroffizierslehrgangs in Hammelburg. Beim ersten Schritt durch das Haupttor der Kaserne, begann ein unaufhaltsamer Zersetzungs- und Umwandlungsprozess. Die betroffe ne Gehirnhälfte wurde kleiner und kleiner, aber auch sehr viel härter. Die Nervenbahnen verloren jegliche Konsestenz und verdrahteten sich zu drei Phasenkabel. Nun arbeiteten sie wie eine sehr einfache elektronische Steuerung. Diese Hardware war nur in der Lage, einfache Vorgänge zu verarbeiten, damit auch ein Uffz damit umgehen konnte. Während die rechte Gehirnhälfte dafür sorgte, dass ein Kapos einigermaßen geradeaus gehen, und sich an die Einnahme der täglichen Malzeiten erinnern konnt, diente der neue Schaltkreis der Unterstützung des s.g. Schikane-Gehirns. Dies war ausschließlich dazu da, sich die Anzahl der erlernten Misshandlungen von Untergebenen zu merken. Aufgrund der geringen Speicher- und Verarbeitungskapazität leider nur in der Reihenfolge von 1 bis 104. Genauer gesagt, 1 = waren beispielsweise "10 Kalte" (Kniebeugen) oder 14 = "Vögeln Sie das Mauseloch, bis ich Halt sage" (Liegestützen). Es war aber nicht so, dass jeder Kapo morgens mit 10 Kalten begann, nein, das war von Kapo zu Kapo total unterschiedlich, jeder hatte seine eigene Reihenfolge programmiert, von der er nicht abweichen konnte.
An den Blicken von Werner war nicht zu erkennen, was er im Moment gerade dachte, aber ich meinte, es wäre eine gewisse Hochachtung mir gegenüber zu erkennen gewesen. Seine Worte liefen jedoch in eine andere Richtung. Seit einer gewissen Zeit hatte er den Mund geöffnet, als ob er gerade das siebte Weltwunder gesehen hätte, und er fragte mich: " Bist du blöde? " Ich verneinte dies und erklärte weiter.
" Werner, du weißt es selbst, tagsüber sind die Kapos eine ungenießbare Spezies aber abends saufen sie alles, was mit Gewalt hereingeht. Wenn du dann auf so einen benebelte Kapo triffst, bist du immer sein bester Freund. Sie umarmen dich und lallen dir lauter Blödsinn ins Ohr. Von der feuchten Aussprache angewidert, ist man froh wenn man sich losreißen kann ."
Werner stocherte mit seiner Gabel an den vertrockneten Essensresten herum und war nicht unbedingt in Diskutierlaune. Ich nahm mir vor, jetzt zum Ende zu kommen. Am Morgen nach ihren Saufgelagen beim Antreten: Die frische Farbe war aus den Gesichtern der Kapos verschwunden. Sie standen vor uns wie die Ölgötzen. Die Schikane-Gehirne lieferten kaum noch Daten, in der Gehirnhälfte herrschte das reinste Chaos, nichts passte mehr zusammen. Das Schlimmste, was passieren konnte, war eingetreten, die geordnete Reihenfolge war völlig durcheinander geraten. Die Befehlskette von 1 bis 104 war gerissen und wie eine Fahrradkette in einzelne Glieder zerfallen. So sehr sich die Kapos auch bemühten klare Gedanken zu fassen, es kam nur noch wirres Zeug aus ihnen heraus. Einige wussten nicht einmal mehr, wie sie hießen. Es folgten Befehle wie: " Links rum kehrt das Gewehr auf die Stuben, im Gleichschritt ohne Tritt hinlegen! " Oder „ Fünfte Gruppe links und rechts um, dabei in volle Deckung und in die Betten ohne Tritt in Reihe aufstellen! " Wir machten dann irgend etwas und wurden auch dafür zusammengepfiffen.
Sie schoben ihren Katerzustand auf das miese Wetter oder die zu engen Hosen der neuen Kampfanzüge aber dass sie heute Nacht erst um zwei Uhr sternhagelvoll ins Bett gefallen sind, davon war keine Rede. Der Hilfsausbilder Fritz stand schon vor unserer Gruppe und versuchte uns für Heinrichs in Linie aufzustellen. StUffz. Heinrichs stand vor der achten Gruppe und gab unverständliche Befehle bis ihn sein Saufkumpane, StUffz Hartmann, das war der mit den dreckigen Hemdkragen, wegjagte: " Geh zu deiner eigenen Gruppe! " Heinrichs kam in Schlangenlinie auf uns zu gestiefelt und schrie: " Wo ist Koschinski? " Ich sagte: " Krank ." Heinrichs rauschte auf mich zu, so dicht, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten und brüllte: " Was haben Sie gesagt? " Angeekelt von seinem Gestank aus seinem Mund nach dem billigen Fusel vom Vortag, sagte ich " Krank! " Jetzt kam er richtig in Form, er schrie mich an: " Das heißt krank, Herr Stabsunteroffizier! " Mit einem Augenaufschlag wie Marilyn Monroe, sagte ich provozierend: " Ach so! " Nun war der Teufel los. Ich musste 10 Liegestützen und 20 Kniebeugen machen. Damals, in der Form meines Lebens, hatte das keine Bedeutung für mich, Nasenbohren wäre anstrengender gewesen. Meine Nachfrage, ob ich wegen der Liegestützen und den Kniebeugen nun vom heutigen Sport befreit sei, hatte zur Folge, dass ich dreimal um den Antreteplatz laufen mußte.
Ich weiß nicht, warum aber Werner stand plötzlich auf, nahm sein Tablett und sagte nur kurz: " Du solltest ein Buch schreiben ." Dann ging er drei Schritte und drehte sich noch einmal zu mir um bevor er weiter zur Geschirrabgabe ging und sagte die lobenden Worte: " Aber ganz normal bist du auch nicht! " Er war eben ein netter Kerl durch und durch.
Der Morgen danach. ...
Alles war wie immer, auch an diesem Morgen. In Hemer gingen unsere letzten Tage dahin und der Moment rückte näher, an dem wir zu unseren Stammeinheiten mussten. Es lag eine allgemeine Nervösität in der Luft. Außer mir, wußte keiner der Rekruten was auf ihn zukommtin in der neuen Einhait. Nur ich konnte mich schon eine Woche früher nach Unna absetzen und durfte mir im Kompaniegebäude bereits eine Stube und einen Spind aussuchen. Anhand einer Liste, wußte ich welche Stuben ganz frei waren und welche zum Teil oder ganz von der Kompanie belegt war. Ich weiß heute nicht mehr, warum meine Wahl auf die Stube 43 fiel, aber im Nachhinein gesehen, war die Entscheidung goldrichtig. Vor dem Fenster lag der Sportplatz, also tagsüber keine Kasernenhofgebrüll. Statt der vier Betten, gab es nur zwei. Eines an der linken und eines an der rechten Wand. Ein Tisch und zwei Stühle. Der Raum wirkte durch die geringere Möbellierung viel größer als die anderen "Buden". Das Besondere jedoch, war der leere Blechspind vom Roten Kreuz. Die Schlüssel steckten noch und ich stellte fest, dass der Spind leer war. Die Schlüssel nahm ich erst mal an mich. Sicher ist sicher. Ich hatte da eine Idee in Richtung Natoalarm. Dazu später.
Nachdem ich mein Quartier für die Zeit in der Stabskompanie der 7. Division gesichert hatte, meldete ich mich im Geschäftszimmer, gab meinen "Mietvertrag" ab und verlangte einen blanco Urlaubsantrag für die Zeit von Wehnachten bis Neujahr. Der Schreibstubenhengst sah mich an wie das siebente Weltwunder und schnauzte: " Bist du bekloppt, kaum hier und schon Urlaub? " Ich antwortete: " Nee, bekloppt bin ich nicht aber Urlaub möchte ich schon! " Was er dann vor sich her maulte, konnte ich nicht verstehen. Er trug mich in ein Buch ein und händigte mißmutig mir den Antrag aus. Auf dem Besuchertisch füllte ich den Schein aus und übergab ihn dem Schreibstubenhengst: " Da fehlt noch das Datum! " ranzte er mich wieder an. Ich trug das Datum ein und er war zufrieden. Brachhte den Antrag in das Zimmer des Kompaniefeldwebel und ich hörte wie der Spieß fragte: " Für wehn? "
Nach 10 Minuten ging die Tür wieder auf und es trat ein Hauptmann wie aus dem Bilderbuch heraus. Hellgraue Uniform, leicht angegraute Naturwellen an den Schläfen, Silberlitzen und Silbersterne. Zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, dass er in der Kaserne " Der schönste Hauptmann der Division " genannt wurde. Freundlich begrüßte er mich: " Guten Tag Herr Gerstenköper, sie sind mein Neuer? " Ich klappte die Hacken zusammen und legte meine Hände an die Hosennaht: "Jawohl Herr Hauptmann!" Er legte seine rechte Hand auf meine linke Schulter und schaute mich väterlich an: " Nun mal ganz ruhig, Sie kommen gleich zu mir, wenn sie mit dem Hauptfeld fertig sind ." Ich antwortete völlig unmilitärisch: " Mache ich ." Der Hauptmann hatte keine Beanstandung und verabschiedete sich mit: "OK, bis gleich." Ich verspürte eine Glückseeligkeit, nicht wieder so ein Brüllaffe, nicht wieder so ein geistloser Schreihalz. Die Zeit in Unna wird sicher schnell und gut verlaufen bis ich wieder im Konstruktionsbüro der Warsteiner-Eisenwerke Geräte konstruieren konnte. Die Schinderei in Hemer war vergessen.
Etwas Sorge bereitete mir mein Urlaubsschein. Ob der Spieß ihn wohl genehmigt. Wenn es dann wenigtstens über Weihnachten wäre, könnte ich mich damit abfinden. Mal sehen, wie es ausgeht. Kompaniefeldwebel (Spieß) Lothar Dublaski (Ostpreuße) schaute kurz ins Geschäftszimmer und rief mir zu: "Nehmen Sie Platz, ich bin gleich für Sie da." Er wies mich freundlich an, auf einem der drei Besucherstühle Platz zu nehmen. Eine derartige Freundlichkeit bei der Bundeswehr war ich absolut nicht gewohnt und gleich stieg in mir aufgrund der bösen Erfahrungen in Hemer, ein gewisser Argwohn auf, denn der Kompaniedienst und der Bürodienst waren zwei verschiedene Stiefel.
Es dauerte nicht lange, da klingelte beim Hengst das Telefon und er sagte nur: " Jawohl, Herr Hauptfeld !" Legte auf und sagte zu mir: " Du sollst reinkommen ." Der Spieß begrüßte mich äußerst freundlich und bat mich Platz zu nehmen. Nachdem ich mir den mittleren der drei Stühle ausgesucht hatte, fragte mich der Spieß: " Sie kommen aus Warstein ?" " Jawohl Herr Hauptfeldwebel! " Kurze Pause. " Mein Feldwebel Cramer kommt aus Suttrop, kennen Sie den? " Nachdem ich das bejat hatte, schob ich noch hinterher: " Bei uns wird er Tossy genannt, warum weiß ich nicht. Ist ein Freund meines Vaters. " " Sie sind aber in Castrop geboren, kommt ihre auch aus Mutter Castrop? " " Sie ist dort aufgewachsen, geboren aber in Damrau, Ostpreußen. " Er stand auf, hob beide Hände, so als ob er mich umarmen wollte: " Ich bin auch Ostpreuße, komme aus....... !" (habe den Ort vergessen)